Vom 24. bis 26. Mai 2018 fand die internationale Tagung „Hass/Literatur“ an der FU Berlin statt. Auf Einladung von Prof. Dr. Jürgen Brokoff und Dr. Robert Walter-Jochum kamen Literaturwissenschaftler*innen, Soziolog*innen, Philosoph*innen und Anthropolog*innen zusammen, um sich mit dem Verhältnis von Hass und (literarischen) Texten auseinanderzusetzen.
Verfolgt man aktuelle öffentliche Debatten, so scheint der Hass das Gefühl der Stunde zu sein: Hasskommentare im Netz, Hassrede im Bundestag, Hasstexte im Rap. Am Wochenende der Tagung versammelten sich 25.000 Menschen auf Berlins Straßen, um gegen eine Demonstration der AfD im Regierungsviertel zu protestieren. Ihr Slogan: „Stoppt den Hass!”
Dass Hass trotz dieser Aktualität aber keineswegs nur ein Phänomen unserer Zeit ist, verdeutlicht nicht zuletzt ein Blick auf die Literaturgeschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart hat sich der Hass als Affekt erwiesen, dessen Beziehungen zur Literatur vielfältig und folgenreich sind.
Im Perspektivenreichtum des Programms der interdisziplinären Tagung spiegelte sich die große Bandbreite an Formen verletzender Rede ebenso wider wie die unterschiedlichen Herangehensweisen und Fragestellungen, die sich mit Blick auf den Zusammenhang zwischen Hass, Sprache und Literatur ergeben.
Die Vorträge zeigten, wie Literatur Hass schüren, kritisieren und analysieren kann und verdeutlichten so die Verschränkung von literarischen Texten mit gesellschaftlichen Hassphänomenen. Anhand der breiten historischen Spanne der diskutierten Texte – vom Nibelungenlied und Luthers Schriften bis zu heutigen Artikulationsformen von Hass – zeigte sich die Bedeutung des Rückgriffs auf frühere Diskursmuster, Hass-Subjekte und Mythen für die Darstellung und Mobilisierung von Hass in der Gegenwart. Zugleich fanden sich bei den vorgestellten Autor*innen ganz unterschiedliche Modi und Konzeptualisierungen des Hassens: Während „blinder Hass“ beispielsweise in Elfriede Jelinkes Stück Am Königsweg den Blick auf die Dinge verstellt, ermöglicht der „wahrheitsspendende“ Hass bei Maxim Biller oder Georg Lukács Scharfsichtigkeit und Erkenntnis.
Auch begriffsgeschichtliche Untersuchungen erwiesen sich als relevant, um das Verhältnis von Hass und Literatur zu bestimmen. Wodurch unterscheiden sich Wut, Zorn und Hass? Wo liegen die Grenzen zwischen Hass und Polemik? Und bewegt sich Hassrede überhaupt noch innerhalb eines Kommunikationsmodells? Mit der Frage danach, wie Sprache Körperkraft entfaltet und zur Waffe werden kann, rückte zudem die Problematik der rechtlichen Sanktionierung von Hassrede in den Fokus.
Epochenübergreifend kristallisierte sich die Funktion von Hass als identitätsstiftendes Moment heraus – ob zur Stärkung einer nationalen Gemeinschaft, wie bei Ernst Moritz Arndt, oder zum Selbstentwurf einer neuen Generation, etwa in literarischen Avantgarde-Diskursen. Besonders an diesen gruppenbildenden Dynamiken wurde sichtbar, wie Hass auf vielfältige Weise in und durch (literarische) Texte affektive Relationen bildet. Die Untersuchungen des Verhältnisses zwischen Hass, Sprache und Literatur erbrachten damit wichtige Erkenntnisse für das Verständnis von „Affective Societies“. Ein Band, der die Ergebnisse der Tagung gebündelt präsentieren wird, ist in Vorbereitung.